Jugendlandtag 2013 – Ein Erfahrungsbericht von Simon Bösken

Thomas Eiskirch und Simon Bösken vor dem Landtag von NRW

Thomas Eiskirch und Simon Bösken vor dem Landtag von NRW

18. Juli           

Nachdem ich mit den anderen Bochumer MdJL zum Düsseldorfer Landtag gefahren bin und mir die nette Begrüßung im Plenarsaal auf meinem sonst von Thomas Eiskirch eingenommenen Platz 126 angehört habe, begannen um ca. 17 Uhr die Fraktionssitzungen. Dort wurden Fraktionsvorsitzende, Schriftführer, Ausschussvorsitzende sowie Stellvertreter gewählt, was durch die ständige Forderung eines MdJL nach geheimen Wahlen (welchen laut Geschäftsordnung stattgegeben werden mussten) in die Länge gezogen wurde. Dadurch blieb leider eine erste Diskussion über die beiden Initiativen („Keine Fete an Feiertagen“ und „Begleitetes Fahren ab 16“), mit denen wir uns hauptsächlich beschäftigten, auf der Strecke.

Nach dem Abendessen fuhren wir mit Bussen auf die andere Rheinseite zur Jugendherberge und gingen den Rest des Abends auf die drei Gehminuten entfernt gelegene Rheinkirmes, die (da Donnerstagabend) nur so moderat besucht war, dass man weder lang anstehen oder drängeln musste und man am Rheinufer noch mit anderen MdJL über Politik reden konnte. Zum gelungenen Ausklang dieses Abends passte der Satz eines dabeisitzenden: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit Leuten in meinem Alter über sowas reden kann.“

19. Juli 

Am nächsten Morgen liefen wir nach dem Frühstück über die Rhein-Kniebrücke zum Landtag, was nicht mehr als 15 Minuten in Anspruch nahm – die Herberge liegt wirklich direkt gegenüber dem Landtag. Dort angekommen begannen um 9:30 Uhr die Fraktionssitzungen, bei denen wir uns in zwei Gruppen – entsprechend den uns zugeteilten Initiativen – aufgeteilt haben. Meine Gruppe, das „begleitende Fahren mit 16“, blieb im SPD-Fraktionssaal, wo zuerst ein die Sitzungen leitender Themensprecher gewählt wurde. Dann wurden die verschiedenen Punkte der Initiative diskutiert und entsprechend gekürzt, geändert und ergänzt, beispielsweise hielten wir eine erneute Überprüfung der charakterlichen Fahrtauglichkeit mit 18 für unnötig und ersetzen diesen Punkt durch eine Forderung, den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in NRW gerade auf ländlichen Gebieten beherzter in Angriff zu nehmen.

In der Mittagspause kamen Thomas und sein parlamentarischer Mitarbeiter Christian Fritsch zu unserer Runde hinzu, bevor wir mit Serdar Yüksel, seinem MdJL Muhammed Altin und mit Carina Gödecke Fotos machten. Da es Freitags im Landtagsrestaurant immer Eis gibt, lud Thomas mich und die anderen danach ein, wodurch Muhammed und ich etwas verspätet zur Anhörung von Experten zu den Initiativen kamen. Diese vertraten jeweils einen anderen Standpunkt und widersprachen sich teilweise, was eine klare Meinungsbildung zu dem Thema erschwerte und uns in den Beratungen über die Initiative nicht wirklich weiterhalf. Die vorher ausgearbeiteten Fragen an die Experten waren überwiegend schon beantwortet, weshalb die Anhörung wesentlich früher als geplant endete.

In der sonst relativ knappen Freizeit trafen wir uns in der Runde, in der wir vorhin schon Fotos machten, mit Christina Borggräfe, der Vertreterin von Carina und damit auch Jugend-Landtagspräsidentin,  in Carinas Büro, wo Serdar mir vorschlug an Ort und Stelle in die SPD einzutreten, was ich nach einiger Überraschung auch tat. Dann machten wir noch zusammen ein Foto im Plenarsaal, wonach die nächsten Fraktionssitzungen anstanden, auf denen die endgültigen Änderungsanträge zu beiden Initiativen beschlossen und festgesetzt wurden.

Die darauf folgenden sogenannten Ausschusssitzungen hatten leider nichts mit den Ausschussthemen (bei mir z.B. „Familie, Kinder und Jugend“) zu tun; sie dienten vielmehr dazu, die Änderungsanträge der anderen Fraktionen auszutauschen, zu besprechen und einen davon zu beschließen. Da uns der Antrag der Grünen-Fraktion aber erst mit dreißigminütiger Verspätung erreichte und die Ausschusssitzungen nur eine Stunde dauern sollten, blieb nach Vorstellung aller Anträge keine Zeit mehr etwaige Kompromisse auszuloten, stattdessen musste gleich abgestimmt werden – mit dem Erfolg, dass am Ende keinem Änderungsantrag zugestimmt wurde und die Initiative dem Plenum am nächsten Tag in seiner Originalfassung (mit der keiner zufrieden war) zur Abstimmung vorgelegt werden musste.
An dieser Stelle wurde mir bewusst, dass es z.B. auf Klimakonferenzen oder Gipfeltreffen wohl ähnlich zugeht und große Ziele schnell an zu knapp gelegten Zeitplänen scheitern können – und Politiker, auf denen bekanntlich gerne herumgehackt wird, nicht immer die Schuld tragen. Nach den „Ausschüssen“ gab es noch einmal Fraktionssitzungen, auf denen die Redner für die Plenarsitzung gewählt wurden.

Nach dem parlamentarischen Grill-Abend mit den Abgeordneten führte Christina Muhammed, ein anderes Bochumer MdJL und mich durch die Düsseldorfer Altstadt, bevor sie wieder in den Landtag ging, um das diesen Abend stattfindende Kirmes-Feuerwerk von dort zu verfolgen. Nachdem wir nun zu dritt das Feuerwerk vom Rheinufer aus miterlebten, gingen wir zurück zur Herberge um von dort noch einmal auf die Kirmes zu gehen. Leider war diese um die Zeit so gut besucht, dass wir zeitweise dicht gedrängt aneinander standen und nicht vorwärts kamen; deshalb nahm unser Kirmesbesuch diesen Abend auch ein schnelles Ende.

Da wir unterschiedliche Zimmer hatten, blieben wir noch etwas vor der Herberge sitzen und so traf ich erst gegen 0:15 Uhr auf meine Zimmergenossen, allesamt SPD-MdJL. Da einer von ihnen für eine Rede zur Aktuellen Stunde (Thema: Das Tempora-Spähprogramm des britischen Geheimdienstes GCHQ) ausgewählt wurde, waren wir bis ca. 2:30 Uhr zu viert mit dem Schreiben dieser beschäftigt – für Politiker ist das Arbeiten bis tief in die Nacht offenbar Alltagsgeschäft.

20. Juli

Vor der am nächsten Tag um 10:00 Uhr beginnenden Plenardebatte gab es noch Fraktionssitzungen, auf denen letzte Regeln, z.B. für die Zwischenfragen, erklärt und Geschäfts- sowie Tagesordnungen verteilt wurden. Tagesordnungspunkte waren die Aktuelle Stunde (Tempora), drei Eilanträge zur Lockerung des neuen Nichtraucherschutzes, zur Partizipation von Schülervertretern in Bildungsgremien und zur verpflichtenden Nutzung von Ökostrom in allen öffentlichen Gebäuden des Landes NRW und natürlich die zwei Initiativen.

Das Plenum begann gleich zu Anfang mit einem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung, wonach pro Rede drei statt nur einer Zwischenfrage erlaubt sein sollten. Diesem Antrag wurde stattgegeben, was sich noch unangenehm bemerkbar machen sollte.

Nach der Aktuellen Stunde kam das wohl umstrittenste Thema des Tages an die Reihe; die Lockerung des Nichtraucherschutzes: Vor dem 1. Mai 2013 konnte ein Wirt seine Gastronomie zur „Raucherkneipe“ erklären; ein neues Gesetz kippte diese Regelung jedoch. CDU, FDP und Piraten waren aber mit der alten Version zufrieden und brachten dieses Thema per Eilantrag zur Debatte.
Die nach den Reden stattgefundene Abstimmung hatte es dann in sich (auch nachzusehen in der Videoaufzeichnung um 11:38:20 Uhr – die Zeit steht in der rechten unteren Ecke des Videos): Da per Handzeichen abgestimmt wurde und die leitende stellvertretende Präsidentin davon ausging, dass die Fraktionen geschlossen stimmen (was sie nicht taten), schlug die erste Abstimmung fehl. Die Wiederholung schlug ebenfalls fehl, da die Präsidentin meiner Auffassung nach durch den neben ihr sitzenden Helfer so verwirrt wurde, dass sie ein falsches Abstimmungsergebnis verkündete. Daraufhin „belagerten“ die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP die Präsidentin regelrecht, die die Sitzung dann kurz unterbrach, um sich mit allen Fraktionsvorsitzenden zu beraten.
Gemäß §12 Abs. 3 der Geschäftsordnung wurde nun das sogenannte Hammelsprungverfahren angewandt, nach dem alle Abgeordneten den Sitzungssaal verlassen müssen und dann ihre Stimme abgeben, indem sie durch eine der drei mit „Ja“, „Enthaltung“ und „Nein“ beschrifteten Türen den Saal wieder betreten (ich habe mich enthalten, da mir die Punkte im Antrag plausibel waren und ich den neuen Nichtraucherschutz auch als zu streng erachte, aber auch die von unserem Redner vorgetragenen Argumente gegen die Lockerung verstehe). Am Ende wurde der Antrag zur Lockerung des Nichtraucherschutzes dann angenommen.

Nun stand der Eilantrag von SPD und Piraten zur Diskussion, den Schülern NRWs einen beratenden Platz im Bildungsausschuss und anderen schulrelevanten Gremien einzuräumen. Trotz teils unschlüssigen Argumenten von CDU und FDP, es sei z.B. nicht möglich geeignete Vertreter der Schüler zu finden (obwohl es Schülersprecher gibt, die bspw. für jeden Regierungsbezirk einen solchen Vertreter wählen könnten), wurde der Antrag mit den Stimmen von SPD, Piraten, Grünen und einigen Christ- sowie freien Demokraten angenommen.

Der letzte Eilantrag der Grünen-Fraktion, der vorsah, dass das Land NRW nach Ablauf der alten Lieferverträge seine öffentlichen Gebäude nur noch mit Ökostrom betreiben soll, kam verhältnismäßig schnell zu seiner Annahme und die Debatte erinnerte darum am Meisten an die aus Fernsehübertragungen gewohnte Routine: Die Redezeiten wurden nicht überschritten, Zwischenfragen hielten sich in Grenzen (das Dreier-Kontingent wurde sonst fast ausnahmslos ausgeschöpft) und man kam schneller als gedacht zur Abstimmung.

Leider hatten wir jetzt ein Problem: Da die Plenarsitzung bis 13:30 Uhr geplant war, die Abstimmung über den letzten Eilantrag aber erst um ca. 13:45 Uhr endete und noch die Initiativen (welche die meiste Zeit in Anspruch nehmen sollten) anstanden, wir alle aber seit 10 Uhr ohne Verpflegung im Plenarsaal saßen und die Konzentration entsprechend schwand, entließ uns die „echte“ Präsidentin Carina Gödecke nach kurzer Ansprache in die halbstündige Mittagspause.

Danach hätten wir bei der Beratung über die Initiative „Begleitetes Fahren ab 16“ nach unserem „Ergebnis“ vom Vortag (keinem Änderungsantrag wurde zugestimmt; über die von allen bemängelte Initiative hätte ohne Änderung abgestimmt werden müssen) gehörig auf dem Schlauch gestanden, hätten sich die Fraktionsvorsitzenden und einige andere MdJL von CDU und SPD nicht in der Nacht auf einen inoffiziellen Kompromiss geeinigt, der am Morgen eilig ausgedruckt und dem Präsidium vorgelegt wurde. Dieser Übereinkunft stimmten die beteiligten Fraktionen und vereinzelte andere MdJL zu; damit wurde die bisherige Regelung durch Feinjustierungen angepasst, aber eine Herabsetzung des Mindestalters von 17 auf 16 abgelehnt.

Die zweite Initiative und damit das letzte Thema des 5. Jugend-Landtages „Keine Fete an Feiertagen“ war aus meiner Sicht trotz der intensiven Diskussion die am meisten polarisierende: Entweder findet man stille Feiertage sinnvoll und ist für stärkere Eingliederung der Religion in den Alltag, oder nicht. Da die Initiative vorsah, sämtliche gesetzlichen christlichen Feiertage zu stillen Feiertagen zu machen und damit an diesen Tagen unter anderem das „Tanzverbot“ einzuführen, traf der Vorschlag bei uns Jugendlichen zunächst auf breite Ablehnung. Auch den Punkt 4 der Initiative (verpflichtende Tage religiöser Orientierung in der Sekundarstufe 1 mit Vertretern des Judentums, des Islams und des Christentums) sahen wir aufgrund der Verpflichtung kritisch: Wer freiwillig eine Veranstaltung besucht ist viel eher geneigt, sich von den dort genannten Argumenten überzeugen zu lassen.
Die MdJL, denen dieses Thema zugeteilt wurde, haben sich auf einen Konsens geeinigt, welcher mit breiter Mehrheit angenommen wurde. Dieser sah unter anderem  vor, dass keine weiteren christlichen Feiertage „still“ werden (zumal viele davon Freudenfeste sind), Islam und Judentum als führende Religionen in NRW aber einen gesetzlichen, stillen Feiertag für die Ausübung ihrer Überzeugung bekommen. Des weiteren müssen Arbeitgeber nach diesem Kompromiss künftig am einem weiteren nicht-gesetzlichen Feiertag muslimischen und jüdischen Mitarbeitern einen Urlaubstag einräumen.

Gegen 15:45 war die Plenardebatte dann zu Ende und nach der Verabschiedung bekam jeder Teilnehmer eine Urkunde, das Buch „NRW – Ein Land mit Geschichte“ und durfte im goldenen Buch des Landtages unterschreiben. Aufgrund der vorangeschrittenen Zeit verzichteten wir Bochumer auf den Abschluss-Gottesdienst, verabschiedeten uns zügig und brachen zum Bochumer Hauptbahnhof auf, den wir ca. um ca. 17:45 Uhr erreichten.

Alles in allem war der 5. Jugend-Landtag für mich mehr als ein „Planspiel“, wie er offiziell beworben wird. Gerade die Erfahrungen, wenn es mal nicht so lief wie geplant und die Zeiteinteilung aus dem Ruder zu laufen drohte, oder das Rede-Schreiben und Kompromisse-Finden bis tief in die Nacht haben mir als politikinteressiertem Jugendlichen gezeigt, wie die Arbeit eines „echten“ MdL ungefähr aussieht. Daher kann ich nur jedem, der etwas mit Landespolitik anfangen kann, raten, es nächstes Jahr einfach mal zu probieren – sollte Thomas Eiskirch mich noch einmal nach Düsseldorf entsenden wollen, wäre ich jedenfalls sofort dabei!

 

Simon Bösken

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